Die Saar als limite naturelle: Grenzund Flussregulierung am Vorabend der Französischen Revolution
Abstract
This article examines two cases of border making and river engineering in the late 18th century
that crucially involved the Saar as well as the smaller river, the Blies. At that time, the French
Ministry of Foreign Affairs sought to negotiate exchanges of subjects and land with various
German states in order to territorialize the Eastern periphery of the Kingdom. Peter Sahlins was
one of the first historians to stress the importance of France’s politique d’échange arguing that
this era illustrates a non-ideological way of integrating the concept of limites naturelles (“natural
boundaries”) into the official practice of the Old Regime. In the treaties concluded with the
Elector of Treves (1778) and with the Countess von der Leyen (1781), micro-sections of the
rivers Saar and Blies were indeed referenced as borders and determined territorial formats. But
decisions on where the boundary was supposed to run largely varied as did the legal, political
and economic objectives. Even if the border treaties coincided with river regulations there is
no proof of a major geostrategic purpose behind the concept of natural boundaries which
rather arose from international law and the idea of peaceful coexistence and neighbourliness.
Nevertheless, much effort was made to realize natural boundaries, including drawing maps and
physically demarcating the boundary. The article sheds light on activities such as border making,
river surveying and building that confronted commissioners and engineers with nature in
the field. It also outlines the role of local knowledge and the commercial function of the Saar.
Der Aufsatz zeigt am Beispiel der Saar, wie am Vorabend der Revolution diplomatische Grenzverhandlungen
mit Flussbaumaßnahmen korrelierten. Das Augenmerk liegt auf zwei kurzen
Flussabschnitten am Unterlauf und Oberlauf, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
in den Fokus der von der französischen Monarchie betriebenen Tauschpolitik gerieten. In diesem
Zuge kamen juristisch komplexe Abkommen über Grenzverläufe mit dem benachbarten
Kurtrier und dem reichsgräflichen Haus von der Leyen zustande, die auf dem konsensuellen
Austausch von einzelnen Dörfern, Untertanen und Hoheitsrechten basierten. Die Tauschverträge
zielten – zumindest punktuell – auch auf die Klärung der Hoheit über das rechtlich
komplizierte Kollektivgut Wasser und fielen zeitlich mit Inspektions- und Baumaßnahmen der
französischen Ponts et chaussées (Straßen- und Brückenbauamt) in der schwer befahrbaren
Saarschleife zusammen. Peter Sahlins hat auf die Bedeutung hingewiesen, die Frankreich der
Erreichung von „Naturgrenzen“ in diesen Vorgängen beimaß – und zwar unter Rückgriff auf die
mutmaßlich unideologische Vokabel limite naturelle. Anhand des behördlichen Schriftverkehrs
und von Visitationsberichten lässt sich zwar nachweisen, dass das Naturgrenzen-Konzept juristisch
sowie z.T. auch materiell (Karte, Grenzsäulen) in die Tat umgesetzt wurde, von einem
doktrin-ähnlichen Programm jedoch keinesfalls die Rede sein kann. Zwar bestimmten die Saar
und ihr Nebenfluss gemäß der völkerrechtlichen Naturdeutung nachweislich die Konstruktion
politischer Gliederungen. Doch die Grenzabsprachen und der Flussbau waren nicht aufeinander
abgestimmt. Sie entpuppen sich als diskrepante Vorgänge, die von einer Gemengelage
diplomatischer, juristischer, technischer und nicht zuletzt naturräumlicher Faktoren bestimmt
wurden. Die behandelten Quellen zeigen auch die Relevanz lokaler Wissensträger im Bemühen
um dauerhafte Fluss- und Grenzlösungen.